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Kindersprache in unterschiedlichen sozio-kulturellen Kontexten
Soziale Umwelt und Spracherwerb
Kindersprache = Spiegel des sozialen Umfelds
Spracherwerb ist Teil des Sozialisierungsprozesses
Kinder lernen einerseits, ihre Sprachäußerungen in grammatikalische Form zu bringen und andererseits, diese mit den kulturellen Umgangsformen zu koordinieren.
Jede Gesellschaft beeinflusst Form, Inhalt und Funktion kindlicher Sprachmuster.
Spracherwerb erfolgt somit auf
zwei Ebenen
: als Erwerb des kindlichen grammatischen Wissens
(linguistische Ebene)
und als Erwerb kindlichen Wissens über den Sprachgebrauch oder das Sprachverhalten in einem entsprechenden Kontext
(kommunikative Ebene)
Rolle der Inputsprache
Die soziale Umwelt unterstützt den Spracherwerb und macht den Kindern vor, wie Sprache zu gebrauchen ist, um mit anderen kommunizieren zu können (kommunikative Ebene) und bietet Grundlagen in Form von sprachlichen Inputs (linguistische Ebene) -->
Wie ist das Sprachangebot und welche Rolle hat die Inputsprache für den Spracherwerb auf beiden Ebenen?
An das Kind gerichtete Sprache: "Ammensprache", "Babytalk", "Motherese" in der Interaktion westlicher Mittelschichteltern mit ihren Säuglingen und Kleinkindern -->
Erfüllung von drei Aufgaben:
kindliche Aufmerksamkeit auf die Umweltsprache lenken, Daten liefern, die das Kind benötigt, um linguistisches Wissen auszubauen und Motivation zur eigenen verbalen Kommunikation
Diese "Sprachförderdidaktik" verlangt nach einer dynamischen Anpassung, angepasst an das Entwicklungsniveau der Kinder.
Anpassung auf drei Stufen:
Ammensprache (Babytalk), stützende Sprache, lehrende Sprache (Motherese)
Ammensprache
(bis ca. 12 Monate): Spezifische Sprechweise (z.B. hohe Stimmlage, überdeutliche Betonung) mit dem Ziel, kindliche Aufmerksamkeit auf die Kommunikation zu lenken. Vereinfachte Sprache mit häufigen Wiederholungen.
Stützende Sprache
(2. Lj): Erwachsene nehmen Klärungsarbeit, indem sie paraphrasieren, expandieren und interpretieren, um gemeinsame Verstehensebene zu finden --> Verständigung über Inhalte (semantische Dimensionen)
Lehrende Sprache
(ab 3. Lj): Einsatz von Sprachlehrstrategien, die der grammatischen Wohlgeformtheit dienen.
Unterschiedliche Sprachlernbedingungen
Unterschiede in der individuellen sozialen Umwelt
Variationen bezogen auf Besonderheiten des Kindes, Stellung in der Geschwisterreihe, Alter der Bezugspersonen, Betreuungssituation und Geschlecht des Kindes
Erstgeborene haben mehr Möglichkeiten zur direkten 1:1-Interaktion mit einem Erwachsenen als später geborene Kinder
Erst- und Spätgeborene wachsen in der gleichen Familie mit unterschiedlichen Sprachlernumgebungen auf, sie sind jedoch alle einer reichhaltigen Sprachlernkulisse ausgesetzt
Unterschiede im Spracherwerb vom Verlauf, Geschwindigkeit und das Zusammenspiel intrapsychischer Voraussetzungen abhängig --> Sprachentwicklungsstörungen haben Ursache im Kind selbst und nicht in seiner Umwelt
Sozial-ökonomische Unterschiede
Schichtspezifische Unterschiede betreffen v. a. die Funktion der Sprache. Arbeiter- und Mittelschichtkinder unterscheiden sich nicht im linguistischen Regelverständnis, sondern im Sprachgebrauch im jeweiligen Kontext --> sozial-ökonomische Unterschiede manifestieren sich auf der kommunikativen Ebene
Mütter unterer sozialer Schichten benützen Sprache vermehrt, um Verhalten der Kinder zu kontrollieren und zu steuern. Mütter höherer sozialer Schichten sprechen allgemein mehr mit ihren Kindern und sind mehr an einer Konversation interessiert.
Babys auf höheren sozialen Schichten sind einer reichhaltigeren Sprachkulisse ausgesetzt, weil sich Betreuungspersonen mehr mit ihnen beschäftigen.
Kulturelle Unterschiede
Soziale Umwelten entscheiden, wie viel mit Kindern gesprochen wird, wie direkt Äußerungen an sie gerichtet sind und inwieweit Äußerungen dem Sprachverständnis angepasst sind.
Zwei Tendenzen der kommunikativen Ausrichtung, wie sich Erwachsene gegenüber Kindern während des Spracherwerbs verhalten:
kindzentrierte Kommunikation
(Erwachsene passen Situation auf das Kind an) oder
situationszentrierte Kommunikation
(Erwachsene erwarten vom Kind, sich der Situation anzupassen)
Kindzentrierte Kommunikation:
Eltern sehen sich in der aktiven Rolle, dem Kind Sprechen beizubringen --> passen ihre Sprache dem kindlichen Verstehen und den Interessen an. Vereinfachte Sprechweise --> Anpassung an die sprachlichen Kompetenzen des Kindes.
Situationszentrierte Kommunikation:
Kinder sollen sich dem situativen Kontext der Erwachsenen anpassen. Kinder hören zwar viele Unterhaltungen, es wird aber nicht direkt mit ihnen gesprochen. Von ihnen wird erwartet, die Sprache durch Beobachtung zu lernen. Sie müssen lernen, sich ohne Interpretationshilfen verständlich zu machen. Erwachsene haben keine vereinfachte Sprechweise, sondern geben wohlgeformte Modellsätze vor und leiten Kinder an, diese zu wiederholen.
Wie Betreuungspersonen mit Kindern interagieren, hängt von
Glaubens- und Wertvorstellungen
ab --> betreffen soziale Organisation der Gesellschafts- und Familienstruktur, die Rolle des Kindes als Kommunikationspartner*in, die Vorstellungen der kindlichen Natur und die Ziele der Spracherziehung, sowie die Funktion der Sprache in der sozialen Lebenswelt und den Stellen wert, den verbale Kommunikation in der Kultur einnimmt.
Unterschiedliche Sprachlehrstrategien
Jede Gesellschaft verfügt über bestimmte Strategien, um den Kindern beizubringen, das zu sagen, was in einem bestimmten Kontext richtig und wichtig ist.
In allen Gesellschaften ist zu beobachten, dass die dem Kind nächsten stehenden Bezugspersonen beim "kulturell festgelegte Sprechbeginn" mit einem intensiven Sprachtraining einsetzen. --> Variationen betreffen die involvierten Personen, die sozialen Beziehungen der Interaktionspartner*innen, das Setting, die Länge sowie die Auftretenshäufigkeit.
Sprachtrainingsmethoden haben jeweils andere Funktionen, je nach gesellschaftlichen Erwartungen an die sprachlichen Kompetenzen (linguistisch und kommunikativ):
Repetitionsmethoden
dienen der Verbesserung der Sprachfähigkeit auf linguistischer Ebene. Durch Korrekturen der kindlichen Sprache wird den Kindern das korrekte Sprechen beigebracht. Mit komplexeren linguistischen Formen sollen Schwierigkeiten gesteigert werden --> Verbesserung der Sprachkompetenz. Sprachrepetitionsmethoden dienen der Automatisierung von Sprachmustern.
Verbesserung der kommunikativen Kompetenz:
z.B. Sprechakte in Form von Spielen als wichtige Strategie. Auch das Einüben von Höflichkeitsroutinen ist für den Erwerb der sozial-kommunikativen Kompetenz von Bedeutung. --> Durch Beteiligung an sozialen Interaktionen lernen Kinder Konventionen der Gesellschaft kennen und werden in die erwarteten Höflichkeitsformeln eingeführt.
Kulturspezifischer Spracherwerb
Durch kulturangepasstes Spracherwerbs-Unterstützungssystem wird dem Kind der Eintritt in die Sprachgemeinschaft und in die zugehörige Kultur ermöglicht. Spracherwerb --> Weitergabe von kulturellem Wissen.
Erwerb von Kommunikationsmustern in der jeweiligen Kultur: wesentlicher Einfluss kultureller Werte auf den Kommunikationsstil der Betreuungspersonen, Widerspiegelung im Sprachverhalten der Kinder --> Übermittlung der kulturspezifischen Kommunikationsmuster geschieht nicht bewusst (implizites Wissen durch Sozialisation).
Jede Gesellschaft beeinflusst
Form, Inhalt und Funktion kindlicher Sprachmuster
.
Ergebnis der Sozialisation ist eine
kulturspezifische kommunikative Kompetenz
. Spracherwerb bedeutet vor diesem Hintergrund, Sprache zu benutzen und situationsspezifisch einsetzen zu lernen.
Pragmatisch-kommunikative Kompetenz kann sich nur in der Interaktion mit sprachkompetenten Sprecher*innen herausbilden. --> Dem sprachlichen Input kommt also vor allem die wichtige Aufgabe zu, Wissen über den richtigen Sprachgebrauch im entsprechenden Kontext zu vermitteln.
"Fremdsprachige" Kinder im Kontext unserer pädagogischen Institutionen
Kinder anderer Erstsprachen haben meist andere Kommunikationskonventionen inne als jene, die ortsüblich sind, diese müssen sich in unterschiedlichen sozialen Kontexten bewegen --> durch fremde Kommunikationskonventionen und implizite Erwartungen, die in der Schule gelten, werden diese benachteiligt.
Kinder verschiedener Herkunftssprachen haben bereits eine Muttersprache erworben und das Aneignen eines Sprachsystems vollbracht. Ihr Handicap: Erstsprache ist nicht offizielle Sprache des Landes, in dem sie leben oder die in der Familie geltenden Kommunikationskonventionen unterscheiden sich von den Erwartungen der Schule grundlegend.
"Kompensatorische Erziehung":
Durch andere Sprache "fehle" den Kindern etwas, was sie kompensieren müssen --> Kind als "unvollständiges System". Meist bestehen auch implizite kulturelle Erwartungen an die Eltern, die diese vielleicht gar nicht kennen. Kinder werden als "kulturell depriviert" gesehen, daraus folgt, dass Eltern unzulänglich sind, den kulturellen Anforderungen des Landes zu entsprechen.
Verhalten von Familien anderer Herkunft wird so bewertet, dass es in deren Alltag keine "pädagogisch wertvollen" sprachfördernden Elemente gäbe. --> z.B. türkisches Freizeitverhalten ist nicht "pädagogisch minderwertig", sondern Sprachförderung findet hier in einer situationszentrierten Kommunikation aufgrund der sozialorientierten Gesellschaft statt (impliziert somit andere Funktion des Sprachgebrauchs).
Kinder müssen sich so auf andersartige Struktur von Bedeutungen einstellen. Wertvorstellungen und Bedeutungsstrukturen werden den Eltern in Form und Inhalt aufgedrängt, statt sie zu integrieren --> Eltern und Kinder werden gezwungen, soziale Identität, Lebensart und symbolische Repräsentation in der Schule abzugeben (sie erleben ihre Kultur als mangelhaft).
Kinder müssen also nicht nur lernen, wie sie in eine andere Lebenswelt eintreten, die offizielle Sprache zu beherrschen, sie müssen sich auch in eine fremde Welt einlassen, die anders strukturiert ist und wo nach anderen normativen Maßstäben bewertet wird.
Schulische Lernstoffe müssen mehr den Erfahrungsbereich der Kinder in ihren Familien und Umgebungen berücksichtigen, dann müssten sie sich weniger defizitär sehen --> auch heute gehen wir noch immer von einem
ethnozentrierten Förderverständnis
aus.
Schlussfolgerung: Wir müssten unseren kulturell bestimmten pädagogischen Blickwinkel erweitern und versuchen, die Perspektive zu wechseln --> besseres Eindringen in die Lebens- und Erfahrungswelt dieser Kinder und ihrer Familien.