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VL04_ Literaturdidaktik Literarischer Kanon und Textauswahl für den…
VL04_ Literaturdidaktik Literarischer Kanon und Textauswahl für den Unterricht
Kanon
Definition & Merkmale (
Winko, 1996
)
Kanon
(griech.: Richtschnur, Vorschrift)
Korpus von Texten, das eine Gesellschaft oder Gruppe für wertvoll hält und an dessen Überlieferung sie interessiert ist :arrow_right: Voraussetzung: Konsens über deren Berechtigung und Anerkennung
Kanonisierung tritt mit zeitlicher Verzögerung ein :arrow_right: Ausschluss von Gegenwartsliteratur aus dem Kanon
Kanonisierungs-prozesse (
Schmidt, 2016
)
komplexes
Zusammenspiel
verschiedener soziokultureller, diskursiver und institutioneller Mächte
Selbstregulationsmechanismen
:arrow_right: Winko: „invisible hand“
Kanoninstanzen
:
Schulen, Universitäten, Buchmarkt, Bibliotheken, Literaturgeschichten, Anthologien usw.
Kriterien der Kanonbildung sind historisch und kulturell
variabel
:arrow_right: zeitliche Begrenztheit von Kanones
Kanon-Debatten
in den 1970er, 1990er und 2000er-Jahren
Kanonpluralität
: mehrere Kanones nebeneinander
Kanonformen (
Schmidt, 2016
)
Kernkanon
:
Autorennamen und Titel, die eine langlebige Tradition gestiftet und faktisch in allen Kanon-Instanzen ihren festen Platz haben (Goethe, Schiller u.a.)
Akuter Kanon / Randkanon
:
von geringerer Stabilität; orientiert sich an Zeitkontexten und ist als „Randkanon“ leicht veränderbar.
Materialer Kanon / Lektürekanon
:
Kanon, der Texte in der Form von Lektürelisten und -verzeichnissen festlegt
Schulkanon (
Schmidt, 2016
)
Wandel der Prinzipien der Textauswahl und schulischen Kanonbildung zu Beginn des 21. Jahrhunderts:
Kompetenz-orientierung
(im Prinzip) keine konkreten Lektürevorgaben mehr (z.B. in den KMK-Standards)
Zentralabitur
Kanonisierungstendenzen durch Festlegung von landesweiten Pflichtlektüren
Schulbuchmarkt
Verstärkereffekte durch Lehrerhandreichungen zu bestimmten literarischen Texten
Ministeriale Vorgaben für das Zentralabitur in NRW (Abitur 2019):
Faust I (J. W. v. Goethe)
Die Marquise von O.... (H. v. Kleist)
Der Sandmann (E.T.A. Hoffmann)
Sommerhaus, später (J. Hermann)
Das Haus in der Dorotheenstraße (H. Lange)
Lyrik des Expressionismus
Textauswahl
Kriterien zur Lektüreauswahl (
Müller-Michaels, 1996
)
Exemplarität
:
die Beziehung eines Werkes zu seiner Epoche und/oder Gattung
Aktualität
(Form & Inhalt):
die Beziehung zwischen dem historischen Werkkontext und den Verstehensvoraussetzungen heutiger Lernender
Wirkungs-mächtigkeit
:
die Beziehung zwischen dem Werk und dem Leser/der Leserin, d.h. das Potential eines Textes, seine Leserschaft auf verschiedene Weise anzusprechen
Auswahlkriterien für Schullektüre (
Schmidt, 2016
)
Nähe zur Alltagswelt
der Schülerinnen und Schüler
:arrow_right: thematische Relevanz, anthropologische Grundfragen
Bezugnahme auf
alters-, schulstufen- und entwicklungspsychologische Lernvoraussetzungen
:arrow_right: Komplexität / Zugänglichkeit des Textes
Angebot an
innovativen Sichtweisen
, welche die Schüler*innen fordern, aber nicht überfordern :arrow_right: angemessener Grad an Fremdheit inhaltlicher und formaler Hinsicht
keine
Texte, die wohlmeinende, den Schüler längst bekannte pädagogische oder politische
Lehren in literarischer „Verpackung“
darbieten
Kinder- & Jugendliteratur
Handlungsorientierte Klassifikation der KJL (
Hans-Heino Ewers
)
Einsatzfelder von KJL im Literaturunterricht (
Schmidt, 2016
)
Problemorientierte Themeneinführung
Themen
:
Gewalt, Umgang mit Behinderung, Integration, Zukunft, Tod, Liebe, Drogen, Scheidungsproblematik
Auseinandersetzung mit anthropologischen Grundlagen
= Beitrag zu entwicklungs-psychologischen Aufhaben (Selbstständigkeit, Identitätsfragen, Ablösungsprozesse)
Leseförderung
Erhalt und Steigerung der
Lesefreude
und Aufbau einer stabilen
Lesemotivation
Eintritt ins freiwillige Lesen, Teilnahme am literarisch-kulturellen Leben
Förderung und Stärkung der Lesefertigkeit und Lesekompetenz
Literarästhetische Grundbildung
Förderung von:
Fremdverstehen, Empathie, Imaginationsfähigkeit, Fiktionalitätsbewusstsein, grundlegende Kenntnisse literarischer Gattungsmerkmale und poetische Regeln
Ziel:
ästhetische Sensibilisierung, Stärkung der literarischen Rezeptionskopetenz
Unterrichtsgestaltende Implikationen
KJL ist prädestiniert für:
einen offenen Unterricht (Leseecken, Lesenächte etc.)
einen medien-integrativen Unterricht (Kinderfilme etc.)
einen handlungs- und produktionsorientierten Unterricht
Wertmaßstäbe von Literatur (
Winko, 1996
)
Wertung
Handlung, mit der ein Subjekt ein Objekt die Eigenschaft zuordnet in Bezug auf einen bestimmten Maßstab positiv oder negativ zu sein
Zwei Formen
sprachliche Wertungen
:
explizit (z.B. Werturteile in Literaturgeschichten) oder implizit (z.B. Ausschluss von Texten, die von Frauen verfasst wurden)
motivationale Wertungen
:
wertende Handlungen in Form von Selektionen in allen Bereichen des literarischen Handlungsfelds (Produktion, Rezeption, Distribution, Verarbeitung/Vermittlung)
Typen von Wertmaßstäben
formal-ästhetisch
:
Selbstreferenz, Polyvalenz, Offenheit, Schönheit (Stimmigkeit, Ganzheit, Komplexität, Intensität/Dichte, ästhetische Gestaltung der Sprache)
inhaltlich
:
Wahrheit/Erkenntnis, Moralität, Gerechtigkeit/Humanität
relational
:
im Hinblick auf eine Bezugsgröße wie natürliche Sprache (Abweichung), literarische Tradition (Innovation, Originalität), Realität (Wirklichkeitsnähe, Authentizität)
wirkungsbezogen
:
vermutliche oder tatsächliche Effekte auf den Leser, z.B. kognitiv (Informationsgewinn, Reflexion), emotional (Identifikation, Betroffenheit, Mitleid), lebenspraktisch (Handlungsorientierung, Sinnstiftung)
:arrow_right: alle Wertmaßstäbe sind historisch variabel
Widerspruch?
Kanon :left_right_arrow: KJL
(siehe Abb.)
Kein Widerspruch!
Kanon :arrows_counterclockwise: KJL