Nach dem Krieg hat mal einer hier in Mannheim zu mir gesagt: »Zilli, Du warst der Engel von Block 6.« Naja, ich weiß nicht. Ich weiß nur, Gott hat das gemacht – und ich habe getan, was ich konnte. Und das ist mir bis heute geblieben: Ich will immer helfen. Wenn einer auf Transport gegangen ist und ich habe es gesehen, dann habe ich dem auch geholfen, wenn ich konnte. Dann habe ich in der Bekleidungs- kammer geklaut, im Magazin, da war alles drinnen, auch Stiefel. Die habe ich dem dann gegeben. »Hier nimm mit. Du gehst auf Transport, Du brauchst die. Ich bin hier drinnen im Lager, ich brauche sie nicht.« Damit ihm vielleicht die Zehen nicht abfroren, da wo er hinkam, kei- ner wusste doch, wo die hinkamen und was sie da machen mussten ...
Sie sind mit Essen und Trinken in den Tod gegangen, meine Familie. Manchmal denke ich: »Hätte ich doch das nicht gemacht, hätte ich sie alle verhungern lassen. Dann wäre ihnen dieser letzte Gang, der Gang in die Gaskammer erspart geblieben.« Aber dann zwinge ich mich: »Lass das sein, Zilli! Dieser Gedanke, der bringt nichts. In dem Moment, wo du es gemacht hast, hast du nicht wissen können, dass es dann so endet. Es hätte auch anders gehen können. Es hätte doch sein können, die Russen wären schneller durchgekommen. Dann hättest du sie alle geret- tet mit dem Essen, das du ihnen gebracht hast. Oder jemand hätte den Hitler noch rechtzeitig totgeschossen oder in die Luft gesprengt ...« Den Versuch gab es ja. Diesen Gedanken: »Hätte ich sie verhungern lassen, dann wären sie nicht ins Gas gegangen«, den muss ich mir verbieten. Der ist nicht erlaubt. Aber er kommt wieder und wieder – und das ist schlimm für mich, das quält mich
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Ich, die Jüngste von allen! Ich habe gestohlen wie ein Rabe. Aber niemals von Menschen, die das Brot gebraucht haben, son-dern im Magazin, in der Küche. Wo ich nur klauen konnte, da habe ich geklaut. Ich hatte keine Angst. Woher das kam, weiß ich nicht. Ich war eigentlich vor dem Lager nicht so. Ich war keine Mutige. Aber das hat das Lager gemacht bei mir – und Gott, den habe ich immer bei mir gehabt.
Ich allein habe für meine Familie gesorgt. Meine Mutter hat im- mer Angst gehabt. Natürlich freute sie sich, wenn ich kam und rief: »Mama, Mama, ich hab’ wieder was zu essen für die Kinder!« Natür- lich hat sie sich gefreut, die wären sonst verhungert. Rundherum star- ben doch die Kinder. Aber sie hat auch immer solche Angst gehabt um mich. »Zilli, eines Tages bringen sie Dich um. Du wirst totgeschla- gen.« Wäre bestimmt irgendwann auch passiert. Sie hätten mich umgebracht, weil ich überall gestohlen habe. Aus dem Magazin, wo die Kleider der Häftlinge gesammelt wurden, habe ich gestohlen. In die Küche bin ich eingestiegen, wo das Essen war, ich habe gestohlen, egal wo. Es ist fast immer gut gegangen. Gott war bei mir, schon immer, schon immer. In den ausweglosesten Momenten war er da!
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