7) Emotionstheorien

Evolutionäre Emotionstheorien

1. Genereller Ansatz

a. Darwins Theorie (1859)

  • "Natürliche Selektion" als Evolutionsmechanismus
    -- kontinuierliche Veränderung durch bessere Anpassung an wechselnde Umwelten
    -- Entstehung neuer Arten z.B. durch räumliche Trennung von Teilpopulationen

b. Evolution aufgrund natürlicher Selektion

  • Variation erblicher Merkmale durch
    -- Mutationen
    -- Genetische Rekombination (Fortpflanzung)
  • Selektionsdruck (zu viele Organismen für verfügbare Ressourcen)
  • Höhere Fitness → häufigeres Überleben + Reproduktion
    -- Darwin'sche Fitness durch Umweltsituation definiert
    -- relativer Vorteil der derzeit am besten angepassten

c. Wichtige Konzepte

  • Genotyp: Gesamtheit genetischer Informationen
  • Phänotyp: Sichtbare Merkmale/ Verhaltensdispositionen; Funktion von Genotyp/ Lernen/ Umwelt
  • Biologische Funktion: Auswirkung, die dafür verantwortlich ist, dass Merkmal in Phylogenese gegenüber Alternativen selektiert wurde
    -- Proximate Funktion: Mechanismus, durch den Fitness erhöht wird
    -- Ultimate Funktion: Erhöhung der Fitness

d. Biologische Selektion und Emotion

  • Dispositionen zu (emotionalen) Verhaltensweisen können selektiert werden
  • oft Vererbung eines gesamten Emotionsmoduls
    -- subjektives Gefühl + Mimik + Gesichtsausdruck + Verhaltensausdruck/ -tendenz
  • Balance zwischen Emotion und Verhaltenstendenz ist wichtig (= Optimierungsproblem)

e. Evolution und Altruismus

Gesamtfitness

  • enthält Anzahl genetisch verwandter Nachkommen
  • Hamilton-Regel: c < r*b
    -- c: Kosten des Handelnden
    -- b: Nutzen des Empfängers
    -- r: Wahrscheinlichkeit für "Altruismus-Allel" bei Nutznießer

Reziproker Altruismus

  • führt in best. Situationen zu Erhöhung der Fitness
  • Grenzbedingungen
    -- Kosten für Handelnden geringer als Vorteile für Empfänger
    -- Trittbrettfahrer können entdeckt + bestraft werden ("tit-for-tat")
  • Förderliche Faktoren:
    -- viele Gelegenheiten für altruistisches Verhalten
    -- stabile Gruppen
    -- gute Gedächtnisfunkjtion der Individuen
    -- Ähnlichkeit gegenseitiger Kosten und Nutzen

2. Darwin und Gesichtsausdrücke

a. Darwins Emotionstheorie (1872)

  • Emotionen = bewusste mentale Zustände von Personen/ höheren Tieren; erhöhen Fitness
  • Kognitive Faktoren durch Bewertungen von Objekten, Situationen, Ereignissen
  • verursachen Emotionsaudruck (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Vokalisation, physiolog. Veränderungen)
  • Hauptziel Darwins: Nachweis phylogenetischer Grundlage des emotionalen Gesichtsausdruck

Biologische Funktion des Emotionsausdrucks nach Darwin

  • Kommunikative Funktion
  • Organismische Funktion
    -- Erhöhung der Bereitschaft, richtig mit entsprechenden Situationen umzugehen
    → Erhöhung der Fitness

b. Biologische Forschungsmethoden

Emotionsausdruck von Kindern

  • keine Kontrolle des Emotionsausdrucks → "biologische Grundausstattung"
  • Studien an Neugeborenen:
    -- nur reaktives Schreien und endogenes Lächeln
    -- unterschiedliche Reaktionen auf Gerüche + Geschmacksreize
    -- Ärgerausdruck ab ca. 6 Monaten; Furcht etwas später
    -- unklar, ob später gezeigte Ausdrücke angeboren sind und erst durch Reifungs-/Lernprozesse ausgedrückt werden können oder nicht

Vergleich des Emotionsausdrucks von Mensch und Tier

  • bei gleichem Ausdruck für Emotion bei Mensch und Tier hat sie phylogenetische Grundlage
  • Lächeln & Lachen vermutlich aus phylogenetischer Grundlage
    -- submissiv, gleichberechtigt, dominant

Emotionsausdruck bei Blindgeborenen

  • können keine Ausdrücke nachahmen; könnten aber durch Umwelt in bestimmten Mimiken etc. verstärkt werden
  • elementare Emotionen bei sehenden Kindern + blindgeborenen gleich
  • bei blind-taub geborenen auch Lachen und Weinen, aber keine feine Graduierung des Ausdrucks
    -- Evidenz für angeborener Ausdruck, der durch Lernmechanismen verfeinert wird
  • keine Unterschiede in spontanem Gesichtsausdruck zwischen Blinden/ Sehenden (anhand Facial Action Coding System)

Beobachtung des emotionalen Gesichtsausdrucks von "Geisteskranken"

  • Annahme, dass psychisch Kranke starke Emotionen haben, die sie nicht ausdrücken können
  • aus heutiger Sicht unklar, wie hier zw. Onto- und Phylogenese unterscheiden werden soll

Intra- und interkulturelle Beurteilung des Emotionsausdrucks

  • Fotografien mit emotionsausdrücken & Instruktion, Emotion zu nennen
  • später Paul Ekman: Kulturvergleiche zur Beurteilung des Emotionsausdrucks
    -- bessere Methoden, aber schlechtere Bedingungen
    -- kulturübergreifend konsistente Zuordnung
    -- Evidenzen sprechen für universelle Assotiation von mimischen Ausdrücken und Gefühlen

Kritik an Studien

  • vermutl. Überschätzung der Erkennungsrate
  • anscheinend aber keine Fundamentalkritik (Effekt schwächer als ursprünglich angenommen)
  • Mangel an Studien, die Ausdrücke objektiv + ergebnisoffen vergleichen

3. Basisemotionen

Annahme, dass alle Emotionen sich aus begrenztem Satz grundlegender Basisemotionen zusammensetzen

a. Neuro-kulturelle Theorie (Ekman)

  • Zwei Faktoren des Emotionsausdrucks: genetisch verankerte Mimikprogramme + Darstellungsregeln
  • Neuro
    -- Basisemotionen: Ärger, Furcht, Ekel, Freude, Traurigkeit, Überraschung, (Verachtung)
    -- unabhängige emotionale Systene
    -- charakterisiert durch spezif. Gefühl, spezif. physiolog. Veränderungen, spezif. mimischen Ausdruck
  • Kulturell
    -- willkürliche Kontrolle des Gesichtsausdrucks durch Verstärkung, Abschwächung, Neutralisierung, Maskierung
    -- erfolgt nach kulturell abhängigen, erlernten Darstellungregeln

Kritik durch Verhaltensökologische Theorie (Fridlund, 1994)

  • Kosten automatischer Gesichtsausdrücke vernachlässigt
  • betont eher sozial-kommunikative Funktion des Gesichtsausdrucks (nicht notwendigerweise Bezug zu Gefühl)
  • unterstützt durch Publikumseffekte (z.B. Bowling)

4. Instinkttheorie (McDougall)

Einfluss von Darwin + Introspektionismus; Gesamttheorie des Menschen: jedes Verhalten kann durch Instinkte erklärt werden

  • Instinkt bei McDougall:
    -- artspezifische, angeborene psychische Disposition
    -- spezifisch für bestimmtes Anpassungsprobelm
    -- situationsangemessene Aktivierung von Handlungsimpulsen, die evolutiv Anpassungsprobleme gelöst haben
  • primärer Handlungsantrieb
  • Instinkt = kognitive + affeltove + motivationale Teilprozesse

Instinktkomponenten

  • Afferente Komponente
    -- angeborene Auslöser der Instinktreaktion (sensorische + kognitive Prozesse)
    -- werden weitervewerbt
    -- Funktion: Anpassungsproblem erkennen, Aufmerksamkeit
  • Zentrale Komponente
    -- Verteilung der Nervenimpulse auf Organe, begleitet von emotionalen Qualitäten des Erlebens
    -- Funktion des physiologischen Aspekts: Instinkthandlung unterstützen
    -- *Funktion des Erlebensaspekts: informiert Individuum über Qualität der Handlungsimpulse; ermöglicht Regulation
  • Efferente Komponente
    --Handlungsimpuls & Emotionsausdruck
    -- Funktion des Emotionsausdrucks: sozial-kommunikative Funkjtion (mach Handlungsimpuls sichtbar)
  • Komponenten instinktspezifisch
  • durch Lernen modifizierbar (z.B. Generalisierung, Diskrimination)

Sieben Hauptinstinke

  • Flucht (Furcht)
  • Abstoßung (Ekel)
  • Neugier (Staunen)
  • Kampf (Ärger)
  • Dominanz (Hochgefühl)
  • Unterordnung (Unterwürfigkeit)
  • Eltern (Zärtlichkeit)

  • können durch angeborene Auslöser + Mitfühlen ausgelöst werden

Sekundäre Emotionen

  • "komplexe Emotionen" = Mischung auf Primäremotionen
    -- z.B. Bewunderung (Staunen + Unterwürfigkeit)
    -- Mischungen mit fließenden Übergängen
  • "abgeleitete Emotionen" = affektive Reaktionen auf vermuteten/ wahrgenommenen (Miss)erfolg einer (instinktiven) Handlungstendenz
    -- prospektiv: Zuversicht, Hoffnung, Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit
    -- retrospektiv: Enttäuschung, Bedauern, Reue, Freude, Kummer
    -- keine Mischung mit primären Emotionen
    -- neue Dmension: Lust/U Unlust
    -- Funktion: Instinktive Handlungsimpulse stärken/ schwächen

Kritik

  • zirkuläre Argumente
  • inflationärer Gebrauch

5. Emotionstheorie von Plutchik

Baut auf Instinkttheorie auf und systematisiert sie

6 Postulate

  1. Emotionen haben genetische Grundlage.
  2. Emotionen = grundlegende Formen der Anpassung, die verschiedenarti auf allen Stufen der phylogenetischen Leiter identifiziert werden können
  3. Emotionen = komplexe reaktionsketten mit stabilisierenden Rückmeldeschleifen, die eine Art von Homöostase des Verhaltens herstellen
  4. Acht grundlegende Emotionen.
  5. Ähnlichkeitsbeziehung zwischen primären Emotionen können in dreidimensionalem, strukturellen Modell dargestellt werden
  6. Alle anderen Emotionen sind Kombinationen der primären Emotionen

8 Primäremotionen

  • Furcht
  • Ärger
  • Freude
  • Traurigkeit
  • Akzeptanz, Vertrauen
  • Ekel
  • Erwartung
  • Überraschung

Dyaden und Konflikt

  • Dyade: Mischung zweier Primäremotionen
    Primäre Dyade: direkt benachbarte Emotionen
  • Sekundäre Dyade: Eine dazwischenliegende Emotion**
  • Tertiäre Dyade: Zwei dazwischenliegende Emotionen
  • Konflikt: Entgegengesetzte Emotionen → Immobilisierung
  • Triade: Drei Emotionen

Primäremotionen und Intensität der Wahrnehmung

  • Primäremotionen können in verschiedenen Intensitäten wahrgenommen werden

Kritik und offene Fragen

  • Heterogenität der Basisemotionen
    -- aber: viele Übereinstimmungen
  • Heterogenität der Kriterien
    -- Definition zur Determination der Basisemotionen
    -- Begriff "Basisemotion" noch ungeklärt
  • Was sind Emotionen, die keine Basisemotionen sind?
  • Biologische Funktionen plausibel, aber empirisch nicht gut belegt
  • Sind Basisemotionen tatsächlich grundlegend?